- Unter dem Titel „Fiskalföderalismus für mehr Wohlstand: Reformoptionen aus deutscher und internationaler Perspektive“ fand am 10. Oktober 2024 das diesjährige Föderale Forum im BMF statt. Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung waren hierzu der Einladung von Staatssekretärin Prof. Luise Hölscher gefolgt.
- Das Forum diskutierte in zwei wissenschaftlichen Sessions die Rolle des Fiskalföderalismus für mehr Wohlstand und Wachstum in Deutschland, mögliche Dezentralisierungsansätze, die Kooperation und zentrale Koordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten.
- Die erste Session widmete sich insbesondere den institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Fiskalföderalismus. Nach einer Einleitung zur Föderalismustheorie von Prof. Nadine Riedel (Universität Münster) setzten sich die Vorträge am deutschen Beispiel damit auseinander, wie eine wohlstandsfördernde Ausgestaltung des Föderalismus im Hinblick auf die Grunderwerbsteuer (Prof. Désirée I. Christofzik, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer), die Gewerbesteuer (Prof. Andreas Lichter, Technische Universität Dortmund) und im Rahmen binnenstaatlicher Transfers (Prof. Tobias Seidel, Universität Duisburg-Essen) möglich ist.
- Die zweite Session zog einen internationalen Vergleich dezentraler staatlicher Organisationsformen. Sean M. Dougherty, Ph.D. (Fiscal Network der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) stellte eine Meta-Analyse für gute Praktiken in der Erbringung dezentraler öffentlicher Dienstleistungen vor, Werner Weber (Eidgenössische Finanzverwaltung der Schweiz) und Prof. Andrew Reschovsky (University of Wisconsin-Madison) ergänzten Fallstudien zu der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.
- Auf dem abschließenden Podium diskutierten Expertinnen und Experten aus der Politik die Implikationen der zuvor skizzierten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Unter der Moderation von Dr. Nicole Waidlein (Fachhochschule Kiel) wurden dabei insbesondere die bremsenden und dynamisierenden Faktoren im deutschen Finanzföderalismus erörtert.
Das Föderale Forum
Das Föderale Forum, eine seit 2019 etablierte Veranstaltungsreihe des BMF, dient der Erörterung aktueller und struktureller finanz- und fiskalpolitischer Themen im Kontext der innerstaatlichen Finanzbeziehungen. Am 10. Oktober 2024 fand im Matthias-Erzberger-Saal die diesjährige Ausgabe unter dem Titel „Fiskalföderalismus für mehr Wohlstand: Reformoptionen aus deutscher und internationaler Perspektive“ statt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreter aus internationalen Organisationen diskutierten in zwei thematischen Sessions die institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Fiskalföderalismus, internationale Vergleiche und Best Practices sowie Gestaltungsmöglichkeiten der Finanzpolitik im föderalen System mit den Anwesenden aus Politik und öffentlicher Verwaltung. Besonderes Augenmerk lag in der abschließenden politischen Podiumsdiskussion auf der Frage, wie der Fiskalföderalismus als Wohlstandsmotor fungieren könne. Ergänzt wurde das Programm durch Poster-Sessions, bei denen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler ihre aktuelle Forschung zu fiskalföderalen Themen präsentierten.
Schirmherrin der Veranstaltung war Staatssekretärin Prof. Luise Hölscher. Sie eröffnete das Föderale Forum 2024 mit einer Begrüßungsrede, in der sie die Bedeutung des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes im Kontext der föderalen Ordnung Deutschlands hervorhob. Die Staatssekretärin betonte die Flexibilität der Verfassung, die bei neuen Herausforderungen Spielraum für Gewichtsverschiebungen zwischen Bund und Ländern biete. Sie verglich das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden mit einem Orchester ohne Dirigenten, das trotz gelegentlicher Dissonanzen zu einer „wunderbaren Symphonie“ fähig sei.
Mit Blick auf das Thema der Veranstaltung – Fiskalföderalismus für mehr Wohlstand: Reformoptionen aus deutscher und internationaler Perspektive – unterstrich sie die Wichtigkeit, den Fiskalföderalismus wachstumsfreundlicher zu gestalten, und verwies auf die aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands. Sie warb für die Wachstumsinitiative der Bundesregierung und betonte die Notwendigkeit der Zusammenarbeit aller föderalen Ebenen, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Es seien gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern erforderlich, um das Land auf den Wachstumspfad zurückzuführen und eine gute Zukunft Deutschlands zu gewährleisten.
Institutionelle Rahmenbedingungen für mehr Wohlstand im deutschen Fiskalföderalismus
Die erste Session des Föderalen Forums 2024 widmete sich den institutionellen Rahmenbedingungen des deutschen Fiskalföderalismus und möglichen Reformoptionen für mehr Wohlstand. Prof. Nadine Riedel (Universität Münster) eröffnete den wissenschaftlichen Teil der Veranstaltung mit einem Vortrag zu Herausforderungen und Reformoptionen im deutschen Fiskalföderalismus. Sie beleuchtete zunächst die theoretischen Argumente für und gegen eine Zentralisierung beziehungsweise Dezentralisierung staatlicher Aufgaben. Als Vorteil der Dezentralisierung wurde insbesondere die Berücksichtigung regional heterogener Präferenzen hervorgehoben. Die Referentin präsentierte empirische Evidenz für Präferenzheterogenität und Selektion in Deutschland. Bei der Finanzierung von Aufgaben, bei denen die Verwaltungsebene nicht der Gesetzgebungskompetenzebene entspricht, identifizierte sie Probleme. Als Reformoption schlug sie vor, die Verwaltungsebene mit der Gesetzgebungskompetenzebene gleichzusetzen. Beim Finanzausgleich plädierte sie für eine Mindestausstattung bestimmter öffentlicher Güter und Dienstleistungen, ergänzt durch Steuerautonomie zur Berücksichtigung regionaler Präferenzen. Hinsichtlich der Steuerautonomie der Länder schlug sie ein Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer vor. Für die Kommunen empfahl sie, die Gewerbesteuer abzuschaffen und die Grundsteuer beizubehalten.
Im Anschluss präsentierte Prof. Désirée I. Christofzik (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) Forschungsergebnisse zu den heterogenen Preis- und Mengeneffekten der Grunderwerbsteuer in Deutschland1. Die Studie zeigte, dass Erhöhungen der Grunderwerbsteuer zu sinkenden Immobilienpreisen und einem Rückgang der Transaktionen führen. Die Effekte waren in schrumpfenden und peripheren Regionen stärker ausgeprägt. Prof. Andreas Lichter (Technische Universität Dortmund) stellte anschließend eine Studie zur Gewerbesteuer, Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie Innovationen2 vor. Die Ergebnisse zeigten, dass Erhöhungen der Gewerbesteuer zu einem Rückgang betrieblicher Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie zu verminderten Patentanmeldungen führen. Die Effekte waren besonders stark bei Unternehmen mit Kreditrestriktionen. Abschließend referierte Prof. Tobias Seidel von der Universität Duisburg-Essen zur Rolle fiskalischer Transfers im deutschen Wirtschaftsraum und deren Einfluss auf regionale Ungleichheit. Er stellte fest, dass Transfers oft als Instrument zur Versicherung gegen regionale Schocks genutzt werden, die durch Globalisierung, Technologie- und Strukturwandel verursacht werden. Prof. Tobias Seidel betonte, dass Transfers zwar helfen, Ungleichheiten zu reduzieren und Populismus entgegenzuwirken, jedoch auch Fehlanreize für lokale Entscheidungsträgerinnen und -träger schaffen könnten. Ein effektives Design von Transfers sollte daher Anreizkompatibilität sicherstellen und auf nachhaltige Investitionen in Bildung und Infrastruktur abzielen.
Die Session zeigte sowohl Chancen als auch Risiken einer stärkeren Steuerautonomie auf. Die Vorträge lieferten wichtige empirische Erkenntnisse zu den Auswirkungen verschiedener Steuern und Transfersysteme auf die regionale Entwicklung und Innovation.
Internationale Perspektiven auf den Fiskalföderalismus
Die zweite Session des Föderalen Forums 2024 nahm einen internationalen Blickwinkel auf den Fiskalföderalismus ein und zog mögliche Lehren für Deutschland. Sean Dougherty, Ph.D. von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eröffnete mit einem Vortrag zu „Fiscal autonomy and equalisation in the OECD“. Er betonte die Notwendigkeit, regionale Autonomie und Koordination auszubalancieren sowie Ausgabenverantwortlichkeiten und Einnahmemöglichkeiten in Einklang zu bringen, außerdem hob er die Bedeutung klarer Zuständigkeiten und des Subsidiaritätsprinzips hervor. Anhand von OECD-Daten zeigte Sean Dougherty, Ph.D. die große Varianz in der subnationalen Steuerautonomie und den Ansätzen zur Finanzierung dezentraler Aufgaben auf. Als Länderbeispiele wurden die Schweiz mit ihrem regelbasierten System für vertikale und horizontale Transfers, die USA mit hoher einzelstaatlicher Autonomie und Deutschland mit geringen vertikalen fiskalischen Ungleichgewichten durch Steuerverbünde vorgestellt.
Werner Weber von der Eidgenössischen Finanzverwaltung der Schweiz präsentierte den „Finanzausgleich und seine institutionelle Einbettung in der Schweiz“. Er erläuterte die hohe Autonomie der Kantone in Organisation, Aufgaben und Finanzen sowie die Grundsätze der Subsidiarität und fiskalischen Äquivalenz. Werner Weber stellte das regelbasierte Schweizer Finanzausgleichssystem vor, das auf dem Ressourcenpotenzial der Kantone basiert und sowohl vertikale als auch horizontale Komponenten umfasst.
Prof. Andrew Reschovsky von der University of Wisconsin-Madison stellte das Fallbeispiel der Vereinigten Staaten vor. Er betonte die hohe Autonomie der US-Bundesstaaten sowohl bei Einnahmen als auch Ausgaben. Dies führe zu erheblichen Unterschieden in der Bereitstellung öffentlicher Leistungen zwischen den Staaten. Prof. Andrew Reschovsky stellte verschiedene föderale Politikansätze vor, darunter bedingte Zuweisungen und gezielte Transferprogramme. Als Best Practices nannte er wettbewerbsbasierte Förderprogramme der Zentralregierung wie „Race to the Top“ im Bildungsbereich sowie die Medicaid-Expansion zur Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes.
Die Session verdeutlichte die Vielfalt fiskalföderaler Ansätze und bot wertvolle Einblicke in internationale Erfahrungen und Best Practices, die für die Weiterentwicklung des deutschen Systems relevant sein können. Abschließend diskutierten die Session-Teilnehmer mit dem Publikum zentrale Herausforderungen wie den Ausgleich zwischen Effizienz und Gleichheit sowie die Anpassung fiskalföderaler Systeme an sich wandelnde politische und wirtschaftliche Kontexte.
Auf die beiden Sessions folgte eine Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus Bund, Ländern und Gemeinden zu einer wohlstandsförderlichen Ausgestaltung des Fiskalföderalismus in Deutschland. Hierzu nahmen die Staatssekretärin im BMF Prof. Luise Hölscher, Dr. Sebastian Schäfer, MdB, und Christian Dürr, MdB, die bundespolitischen Perspektive ein, Hartmut Vorjohann als Staatsminister der Finanzen des Freistaats Sachsen brachte die Landesperspektive ein und Dr. Rico Badenschier als Oberbürgermeister der Stadt Schwerin bildete den kommunalen Blickwinkel ab. Dr. Nicole Waidlein von der Fachhochschule Kiel und Chefredakteurin des Wirtschaftsdiensts moderierte das Panel.
Die Diskutantin und die Diskutanten der bundesstaatlichen Perspektive betonten, dass sich der Fiskalföderalismus in der Geschichte der Bundesrepublik bewährt habe, aber binnenstaatliche Verantwortlichkeiten zunehmend durchbrochen werden würden. Beispielhaft benannte Dr. Sebastian Schäfer, MdB, Mitfinanzierungen des Bundes bei Landesaufgaben. Staatsminister Hartmut Vorjohann betonte als Vorteil von Dezentralität die Herausbildung von Best Practices und das Lernen voneinander sowie die Notwendigkeit der Beibehaltung der Schuldenbremse. Christian Dürr, MdB, ergänzte, dass der Wettbewerbsföderalismus gestärkt werden müsse und die Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden in Einnahmen und Ausgaben für die Wählerinnen und Wähler abgrenzbar sein müssten. Den Aufwuchs an Aufgaben, der den Kommunen von übergeordneten Gebietskörperschaften mit dem einhergehenden Erfüllungsaufwand auferlegt würde, kritisierte insbesondere Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier. Staatssekretärin Prof. Luise Hölscher sah konkludierend in einer eingehenden, Bund, Länder und Gemeinden umfassenden Aufgaben- und Ausgabenkritik einen ersten Ansatzpunkt zur Fortentwicklung des deutschen Föderalismus.
Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Staatssekretärin Prof. Luise Hölscher einen fortwährenden Weiterentwicklungsbedarf für den Fiskalföderalismus fest. Für die politische Diskussion seien wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie der Blick über den nationalen Tellerrand hinaus und der offene Austausch aller staatlichen Ebenen miteinander von großer Bedeutung. Hierzu habe das Föderale Forum 2024 einen wertvollen Beitrag geleistet und dazu solle es auch im kommenden Jahr dienen.
Fußnoten
- 1
- Désirée I. Christofzik, Lars P. Feld und Mustafa Yeter (2020). Heterogeneous price and quantity effects of the real estate transfer tax in Germany. German Council of Economic Experts Working Paper 10/2020 [PDF, 1,5 MB].
- 2
- Andreas Lichter, Max Löffler, Ingo E. Isphording, Thu-Van Nguyen, Felix Poege und Sebastian Siegloch (im Erscheinen). Profit Taxation, R&D Spending, and Innovation. American Economic Journal: Economic Policy.