BMF-Monatsbericht November 2024

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Im Interview: Dr. Jörg Kukies, Bundesminister der Finanzen

21.11.2024
Porträtfoto von Dr. Jörg Kukies BildVergroessern
Dr. Jörg KukiesQuelle:  Bundesministerium der Finanzen/photothek

Herr Dr. Kukies, Sie sind seit dem 7. November 2024 neuer Bundesminister der Finanzen. Könnten Sie sich bitte kurz unseren Leserinnen und Lesern vorstellen?

Sehr gerne! Einige Kolleginnen und Kollegen hier im Haus kennen mich ja noch aus den Jahren 2018 bis 2021, in denen ich als Staatssekretär für Europa- und Finanzmarktpolitik hier im BMF tätig war.

Das war eine denkwürdige Zeit, die nicht zuletzt geprägt war von den vielfältigen Herausforderungen der Pandemie. Damals war ich unmittelbar daran beteiligt, die Corona-Hilfen, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds und die Unterstützungsmaßnahmen auf europäischer Ebene auf den Weg zu bringen.

Nach der Bundestagswahl 2021 bin ich dann gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz ins Bundeskanzleramt gewechselt. Dort war ich als Staatssekretär tätig, habe die beiden Abteilungen Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik sowie Europapolitik geleitet und als deutscher Sherpa die Abschlussdokumente der G7- und G20-Gipfel verhandelt. Die BMF-Themen haben mich also auch in dieser Zeit immer begleitet.

Von Haus aus bin ich Wirtschaftswissenschaftler. Ich habe zunächst Volkswirtschaftslehre in meiner Heimatstadt Mainz und dann in Paris studiert. Im Anschluss hatte ich die Gelegenheit, mein Studium in den USA an der Harvard University fortzusetzen und später an der University of Chicago zu promovieren.

Danach habe ich begonnen, bei der US-Investmentbank Goldman Sachs zu arbeiten. Anlageprodukte, der Umgang mit institutionellen Investoren, Pensionskassen, Landesbanken und Versicherungen sowie komplexe Zahlenwerke sind mir also bereits seit längerem auch von „der anderen Seite aus“ vertraut.

Zugleich bin ich ein politisch engagierter Mensch. Ich wurde früh durch ein sozialdemokratisch orientiertes Elternhaus geprägt und war Anfang der 1990er-Jahre Landesvorsitzender der Jusos in Rheinland-Pfalz.

Den Wechsel in die Politik im Jahr 2018 habe ich als große Chance gesehen, meine Erfahrungen aus dem Finanzsektor bei der Umsetzung dringend erforderlicher Reformen einbringen zu können. Einiges davon, wie z. B. Fortschritte bei der Bankenunion, konnten wir bereits auf den Weg bringen. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass es gerade jetzt nicht nur in Deutschland, sondern auch auf europäischer Ebene wichtige Vorhaben, wie z. B. die Kapitalmarktunion, gibt, deren Umsetzung nicht weiter aufgeschoben werden sollte.

Ansonsten kann ich Ihnen noch verraten, dass ich ein treuer Anhänger des 1. FSV Mainz 05 bin.

Der Deutsche Bundestag wird nach Stand der Dinge keinen Bundeshaushalt 2025 mehr in diesem Jahr beschließen. Was bedeutet das für den Bund im nächsten Jahr?

Falls dies eintritt, wovon wir ausgehen müssen, wird das BMF aus diesem Anlass demnächst ein Rundschreiben zur vorläufigen Haushaltsführung erlassen. Das ist weder außergewöhnlich noch technisch problematisch. Bei der vorläufigen Haushaltsführung handelt es sich vielmehr um eine im Grundgesetz festgeschriebene Regelung, die in der Praxis z. B. nach Bundestagswahlen regelmäßig zum Tragen kommt. Dann nämlich, wenn zunächst eine Regierungsneubildung abgewartet wird. Auch im laufenden Haushaltsjahr hatten wir nach den intensiven Abstimmungen infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Nachtragshaushaltsgesetz 2021 kurzzeitig eine vorläufige Haushaltsführung.

Grundsätzlich gilt: Der Bund wird alle nötigen Ausgaben leisten und alle eingegangenen Verpflichtungen erfüllen! Hier sieht das Grundgesetz klare Regeln vor.

Und erfahrungsgemäß werden zurückgehaltene Mittelabflüsse nach Ende der vorläufigen Haushaltsführung kurzfristig nachgeholt, sodass für das Gesamtjahr keine signifikanten, negativen Wachstumseffekte zu erwarten sein dürften.

Ansonsten wird das BMF natürlich alles Notwendige vorbereiten, um einer neu gewählten Bundesregierung einen möglichst schnellen Start zu ermöglichen.

Die deutsche Wirtschaft stagniert seit einigen Jahren. Welche Maßnahmen halten Sie jetzt für geboten?

Unser Potenzialwachstum ist in der Tat seit Anfang der 2000er-Jahre von 1,5 Prozent auf derzeit 0,5 Prozent gefallen. Wir brauchen also strukturelle Reformen. Mit der Wachstumsinitiative haben wir im Sommer zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die unsere Wirtschaft wieder ankurbeln sollten. Einige davon können wir auch noch in der verbliebenen Zeit dieser Legislatur verabschieden, weil die Bundesregierung sie schon im Kabinett beschlossen hat und ein gemeinsames Verständnis über deren Notwendigkeit besteht. Vor allem die Anpassung des Steuertarifs, um die kalte Progression zu berücksichtigen, aber auch die Förderung der E-Mobilität oder die besseren Abschreibungsmöglichkeiten für alle Unternehmen und das höhere Kindergeld. Diese Chance sollten wir nutzen. Wir reden hier von Milliardensummen, mit denen wir die Unternehmen sowie die Bürgerinnen und Bürger gezielt unterstützen und unserer Wirtschaft einen dringend notwendigen Wachstumsimpuls geben können. Das BMF kann hier einen wertvollen Beitrag leisten.

Die neue EU-Kommission kommt bald ins Amt. Welche Projekte wird das BMF auf EU-Ebene prioritär verfolgen? Was ist Ihnen mit Blick auf die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union (EU) besonders wichtig?

Ich hoffe sehr, dass wir beim Thema Bürokratieabbau weiterkommen. Die Kommissionspräsidentin hat sehr weitreichende Ankündigungen zum Abbau der Berichtspflichten gemacht, die wir sehr begrüßen. Wir müssen diese Ankündigungen jetzt gemeinsam umsetzen. Mit meinem französischen Amtskollegen Antoine Armand habe ich mich schon verständigt, wie wir das unterstützen können.

Ein weiteres zentrales Thema ist der Kapitalzugang für unsere Unternehmen. Wir müssen mehr Kapital mobilisieren, insbesondere Eigenkapital für Wachstumsunternehmen. Die Wachstumsperspektiven in Europa sind immer noch deutlich ungünstiger als beispielsweise in den USA. Dieser Rückstand hat auch damit zu tun, dass unser Kapitalmarkt fragmentiert ist und die großen Ersparnisse, die hier vorhanden sind, nicht ausreichend in das Wachstum der Unternehmen investiert werden. Deshalb setzen wir uns auf europäischer Ebene weiter für eine vertiefte und echte Kapitalmarktunion in der EU ein und im Inland für eine konsequente Reform der 2. Säule und 3. Säule unseres Rentensystems. Wichtig sind ebenfalls eine Wiederbelebung des Verbriefungsmarkts und bessere Anlageangebote für Europäerinnen und Europäer.

Eines möchte ich klarstellen: Deutschland ist trotz der bevorstehenden Neuwahlen sehr wohl handlungsfähig und vor allem bereit, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen.

2024 war ein „Superwahljahr“: Rund die Hälfte der Weltbevölkerung war zur Stimmabgabe aufgerufen, mit neuen Mehrheiten etwa in den USA. Wie kann sich Deutschland global positionieren und welchen Beitrag kann das BMF leisten?

Die Prioritäten der Bundesregierung sowie des BMF sind klar: zeitnahe politische und fiskalische Stabilität, eindeutige Perspektiven und Investitionen, die Wachstum und den sozialen Zusammenhalt sichern. Nur so wird es uns gelingen, langfristig das Vertrauen in unsere Demokratie und unseren Staat zu stärken. Denn Deutschland hat gerade in diesen Zeiten eine große Verantwortung für die Sicherheit Europas inne – das schließt die Finanzpolitik ein.

Gerade komme ich zurück vom G20-Treffen in Rio de Janeiro. Es hat wieder einmal gezeigt, dass insbesondere das Format der G20 wichtig für den multilateralen und bilateralen Austausch der Staaten ist. Trotz großer geopolitischer Herausforderungen und unterschiedlicher Ansichten ist der kontinuierliche Dialog wichtig.

Aus eigener Erfahrung weiß ich um die große Expertise und Einsatzbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen hier im BMF und bin daher voller Zuversicht, mit diesem Team einen wichtigen Beitrag leisten zu können. Ich freue mich über meine Rückkehr und sehe diesen Wechsel – auch dieses Mal – als Chance!