- Trotz vieler positiver Entwicklungen bestehen 35 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West. Ostdeutsche fühlen sich oft als „Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse“.
- Es ist die Aufgabe der Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, die Interessen der Ostdeutschen im Kabinett zu vertreten, strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West zu verringern und das gesellschaftliche Miteinander zu stärken.
- Neben der Förderung der Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland liegt ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit auf der Steigerung des Anteils von Ostdeutschen in Führungspositionen.
- Die Ostbeauftragte verantwortet auch den Aufbau des „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ in Halle (Saale).
Inhalt
- Einleitung
- Aufgaben der Ostbeauftragten
- Ostdeutschland als Seismograf für gesamtdeutsche Entwicklungen
- Maßnahmen, um ein Zusammenwachsen von Ost und West zu fördern
- Die neue Ostbeauftragte: Staatsministerin Elisabeth Kaiser
- Ausblick
- Im Interview: Staatsministerin Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland
Einleitung
Mit dem Umzug des Amts der Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland in das BMF wird es an einem zentralen politischen Schaltpunkt der Bundesregierung verankert. Dadurch unterstreicht die Bundesregierung den Anspruch, ostdeutsche Anliegen noch stärker in die politischen Kernprozesse einzubinden – insbesondere dort, wo über Ressourcen, Investitionen und Rahmenbedingungen entschieden wird. Zugleich bleibt die Stimme Ostdeutschlands unmittelbar am Kabinettstisch präsent, um den ostdeutschen Aufholprozess der vergangenen Jahre weiter voranzubringen. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hat am 7. Mai 2025 Elisabeth Kaiser zur Staatsministerin und Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland ernannt.
Aufgaben der Ostbeauftragten
Auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung brauchen die vielfältigen Interessen und Perspektiven Ostdeutschlands besonderes politisches Gehör. Schließlich bestehen trotz vieler positiver Entwicklungen weiterhin strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West.
Einerseits hat sich Ostdeutschland in den vergangenen Jahrzehnten in vieler Hinsicht dynamisch entwickelt. So ist die ostdeutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren stärker gewachsen als die westdeutsche. Neue Unternehmen haben sich angesiedelt und die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen. In Bereichen wie dem Ausbau erneuerbarer Energien oder der Verkehrsinfrastruktur nimmt Ostdeutschland inzwischen oftmals eine Vorreiterrolle ein. Milliardeninvestitionen des Bundes haben hierbei maßgeblich zur positiven Dynamik beigetragen. Hinzu kommen eine lebendige Kulturlandschaft – nirgendwo in Deutschland ist die Theaterdichte höher – und ein starker Tourismus. Viele Regionen im Osten haben sich außerdem als attraktive Standorte für Forschung, Technologie und Start-ups etabliert.
Ostdeutschland als Seismograf für gesamtdeutsche Entwicklungen
Andererseits bestehen trotz dieser Fortschritte weiterhin erhebliche Disparitäten. Der Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung 2024 zeigt: Während es auch im Westen strukturschwache Regionen gibt, sind überproportional viele ostdeutsche Landkreise von demografischem Wandel, niedriger Wirtschaftsleistung und geringeren kommunalen Einnahmen betroffen. Auch die Einkommen und Vermögen der Ostdeutschen sind im Durchschnitt bis heute wesentlich niedriger als in Westdeutschland. Die Folgen: begrenzte Entwicklungsperspektiven und das verbreitete Gefühl, in einer abgehängten Region zu leben. Das im Grundgesetz verankerte Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse ist jedenfalls noch nicht erreicht. Es bleibt eine gemeinsame, gesamtstaatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass man überall in Deutschland gut leben kann. Dabei darf es nicht um ein Gegeneinander von Ost und West gehen. Im Gegenteil: Viele Herausforderungen ähneln sich. Der Austausch von Lösungsansätzen und das Voneinander-Lernen müssen im Mittelpunkt stehen. Der Osten kann hier immer wieder Ideengeber sein, gerade im Umgang mit Transformationserfahrungen.
Mehr noch: Ostdeutschland ist häufig ein Seismograf für gesamtdeutsche Entwicklungen – etwa beim Fachkräftemangel, der von ostdeutschen Unternehmen in Umfragen mittlerweile als das zentrale Zukunftsthema identifiziert wird. Die Beauftragte wird hierzu Impulse geben, damit regionale Trends und Lösungswege auch in anderen Landesteilen Aufmerksamkeit erhalten.
Maßnahmen, um ein Zusammenwachsen von Ost und West zu fördern
Staatsministerin Elisabeth Kaiser wird die Arbeit für ein stärkeres Zusammenwachsen von Ost und West mit Nachdruck fortführen. Dies geschieht durch intensive Öffentlichkeitsarbeit, Dialogformate und konkrete Maßnahmen. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Bundeskonzept zur Erhöhung des Anteils von Ostdeutschen in Führungspositionen. Noch immer sind Ostdeutsche in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Der Bund geht hier im Rahmen des Bundeskonzepts mit gutem Beispiel voran – etwa durch eine systematische Datenerhebung und transparente Berichterstattung zur Repräsentation ostdeutscher Führungskräfte in der Bundesverwaltung. Langfristig geht es darum, strukturelle Barrieren auch in anderen gesellschaftlichen Sektoren abzubauen, gleiche Chancen herzustellen und so mehr Vielfalt zu schaffen. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Die Sichtbarkeit von Diversität in Führungsämtern stärkt ganz grundsätzlich das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und die Akzeptanz politischer Entscheidungen.
Ein weiteres zentrales Vorhaben ist der Aufbau des Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation in Halle (Saale). Der Architekturwettbewerb wurde erfolgreich abgeschlossen. Aktuell läuft der Aufbau der Gesellschaft in Halle (Saale) sowie die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung des Zentrums. Ziel ist es, die Erfahrungen und Kompetenzen aus Ostdeutschland und Mittel- und Osteuropa sichtbar zu machen und daraus für die Zukunft zu lernen. Das Zukunftszentrum soll ein Ort der Begegnung, des Dialogs und der Forschung sein – mit Strahlkraft weit über die Region hinaus.
Zu den weiteren Themenfeldern der Beauftragten gehören die Förderung und Stärkung des Ehrenamts im ländlichen Raum, die Begleitung des Strukturwandels in den Kohleregionen, die Unterstützung der Ansiedlung von Bundesbehörden und Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland sowie die Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur und die Förderung der Erinnerungskultur.
Die neue Ostbeauftragte: Staatsministerin Elisabeth Kaiser

Staatsministerin Elisabeth Kaiser bringt für diese Vorhaben langjährige Erfahrung mit. Seit dem Jahr 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags, von 2023 bis 2025 war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Die Verwaltungswissenschaftlerin stammt aus Thüringen, mit ihrer Familie lebt sie in Gera und Potsdam. Inhaltlich setzt sie sich besonders für die Perspektiven junger Menschen sowie für soziale Teilhabe ein.
Die Umbrüche der Nachwendezeit in ihrer eigenen Familie haben sie geprägt. Bis heute sind die Spuren des tiefgreifenden Umbruchs nach der Deutschen Einheit in ihrem Wahlkreis Gera – Greiz – Altenburger Land deutlich erkennbar. Die besondere Lebensleistung der Ostdeutschen sichtbar zu machen, ist ein zentrales Anliegen ihrer Arbeit. Ganz im Sinne des Koalitionsvertrags: „In den 35 Jahren seit der Wiedervereinigung haben die Menschen in Ostdeutschland Außergewöhnliches geleistet. Der Osten hat längst bewiesen, dass Transformation gelingen kann. Darauf wollen wir aufbauen.“
Lebenslauf von Staatsministerin Elisabeth Kaiser
Elisabeth Kaiser wurde 1987 in Gera geboren. Im Jahr 2012 schloss sie ihren Bachelor in Staatswissenschaften an der Universität Erfurt ab, im Anschluss absolvierte sie erfolgreich einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Potsdam. Elisabeth Kaiser war von 2021 bis 2023 stellvertretende innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Vom Jahr 2023 an war sie Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Sie gehört seit dem Jahr 2017 dem Deutschen Bundestag an und vertritt dort für die SPD den Wahlkreis Gera – Greiz – Altenburger Land.
Ausblick
Unterstützt wird die Staatsministerin von einem traditionsreichen Arbeitsstab. Dessen Wurzeln reichen bis in die frühen 1990er-Jahre zurück. Zunächst war im Bundesministerium des Inneren ein „Arbeitsstab Neue Länder“ angesiedelt. Im Jahr 1998 wurde mit Rolf Schwanitz (SPD) erstmals ein Staatsminister mit Sitz im Kanzleramt zum Beauftragten der Bundesregierung für die Angelegenheiten der neuen Länder ernannt. Später ressortierte der Beauftragte im Bundesministerium für Verkehr, Bundesministerium des Inneren sowie im Bundesministerium für Wirtschaft – und zuletzt wieder im Bundeskanzleramt. Zu den Aufgaben des Arbeitsstabs zählen u. a. die fachliche Unterstützung der Beauftragten, das Monitoring von Regierungsmaßnahmen mit besonderer Relevanz für Ostdeutschland, die Projektförderung, die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements sowie die enge Koordination mit den ostdeutschen Ländern in der Ministerpräsidentenkonferenz-Ost.
Mit der Anbindung an das BMF beginnt für die Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland und den Arbeitsstab nun eine neue Phase: Als zentrales Querschnittsressort ist das BMF maßgeblich an der Mittelverteilung und strategischen Planung beteiligt. Die Politik für Ostdeutschland wird auch in Zukunft zentral in die Entscheidungsprozesse der Bundesregierung integriert werden. Das sind sehr gute Nachrichten – für den Osten und das ganze Land.
Im Interview: Staatsministerin Elisabeth Kaiser, Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland
Sie sind Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland. Was treibt Sie bei Ihrer Arbeit an?
Der Blick auf Ostdeutschland ist leider immer noch einseitig. Dabei hat sich der Osten in den vergangenen 35 Jahren stark entwickelt, wenn man sich heute die Wirtschaftsansiedlungen anschaut, den Ausbau der Infrastruktur oder den Anteil an erneuerbaren Energien, die die Region auch für den Rest des Landes produziert. Deshalb werbe ich für mehr gegenseitiges Interesse zwischen Ost und West. Die Ostdeutschen bringen besondere Erfahrungen mit, sie haben sich Freiheit und Demokratie erkämpft, damit die Einheit möglich gemacht und die Umbrüche danach gemeistert. Ich bin in Gera geboren und aufgewachsen, habe da selbst und in meiner Familie die Entwicklungen und Umbrüche nach der Wiedervereinigung spüren können. Das macht etwas mit den Menschen und sorgt leider auch für mehr Skepsis gegenüber dem Staat und seinen Institutionen. Deshalb müssen wir die strukturellen Defizite, die es immer noch gibt, klar adressieren. Damit stärken wir auch das Vertrauen in die Demokratie.
Welche drei ganz konkreten Ziele wollen Sie in dieser Legislaturperiode erreichen?
Meine Aufgabe besteht darin, grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West zu verringern. Ein Ziel, das ich mit der gesamten Bundesregierung teile: Wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land erreichen.
Neben der Steigerung des Anteils von Ostdeutschen in Führungspositionen – nicht nur in der Bundesverwaltung, sondern in allen relevanten Sektoren von Wirtschaft und Gesellschaft – geht es mir auch darum, das Lohn- und Einkommensgefälle zwischen Ost und West zu verringern. Da hilft eine stärkere Tarifbindung. Zudem wird Ostdeutschland von einer Erhöhung des Mindestlohns überproportional profitieren. Dazu kommen die Sicherung des Rentenniveaus, aber auch notwendige Reformen innerhalb der Sozialsysteme. Für die allermeisten Ostdeutschen über 65 Jahre ist die Rente das einzige Einkommen. Wir haben in den vergangenen 35 Jahren viel erreicht, das gilt es, bei aller Kritik, nicht zu vergessen. Das 35. Jubiläum zur Deutschen Einheit in diesem Jahr ist dafür ein schöner Anlass.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil priorisiert Wachstum, positioniert das BMF als Investitionsministerium. Wo sehen Sie besondere Stärken und Potenziale in Ostdeutschland?
Ostdeutschland ist Innovationsregion und kann ein Motor der wirtschaftlichen Entwicklung sein, auch über die Grenzen der Region hinweg. In den vergangenen Jahren lag das Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland sogar höher als im Rest des Landes. Die breite Verfügbarkeit erneuerbarer Energien habe ich schon angesprochen, dazu kommt eine gut ausgebildete, industrieoffene Bevölkerung. Die Region ist Schwerpunkt der europäischen Halbleiterindustrie – ein Potenzial, das wir nutzen müssen. In den Braunkohlerevieren in der Lausitz und in Mitteldeutschland erleben und fördern wir als Bundesregierung einen umfassenden Strukturwandel. Dadurch kommen z. B. große Forschungseinrichtungen in die Region. Von den Erfahrungen dieses Umbaus können auch andere Gegenden profitieren. Gerade mit den Ländern Mittel- und Osteuropas wollen wir uns regelmäßiger austauschen. Hier kann Ostdeutschland auch aufgrund gemeinsamer Erfahrungen während des Kalten Kriegs und der anschließenden Transformation Brückenbauer sein. Generell gilt: Wer erfolgreich die Umbrüche nach der Deutschen Einheit gemeistert hat, ist auch eher in der Lage, mit aktuellen Krisen und Herausforderungen umzugehen. Das will ich stärker in den Mittelpunkt rücken.