- Eine Stärkung der europäischen Kapitalmärkte fördert das Wirtschaftswachstum und erleichtert die Finanzierung von Europas Zukunftsinvestitionen, insbesondere in Digitalisierung und Klimaneutralität.
- Um das Zusammenwachsen der europäischen Kapitalmärkte zu fördern, hat die Europäische Kommission im März 2025 neue Maßnahmen für eine Europäische Spar- und Investitionsunion vorgelegt. Deutschland bringt sich intensiv in die europäische Debatte ein.
Ein starker Kapitalmarkt für Europas Wettbewerbsfähigkeit
Europa steht derzeit vor großen Herausforderungen. Um die notwendigen Investitionen in Digitalisierung, Klimaneutralität, Infrastruktur und Verteidigung zu bewältigen, bedarf es nicht nur öffentlicher, sondern auch privater Investitionen. In Deutschland und Europa wird die Finanzierung von Investitionen hauptsächlich durch den Bankensektor getragen. Im Gegensatz dazu spielt die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt bislang eine untergeordnete Rolle – anders als etwa in den USA. Ziel der europäischen Politik ist es daher, die traditionell starke Bankenfinanzierung durch eine stärker kapitalmarktbasierte Finanzierung zu ergänzen, um der Realwirtschaft zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen.
Bei der Innovationsfinanzierung, beispielsweise bei der Finanzierung von Start-ups, sowie bei Investitionen im Rahmen der digitalen und grünen Transformation spielen Kapitalmärkte und private Investitionen eine besonders wichtige Rolle. Investitionen in diesen Bereichen sind oft mit besonderer Unsicherheit behaftet, beispielsweise darüber, welche neuen Technologien sich am Ende durchsetzen werden. Solche Projekte sind für Investoren an Kapitalmärkten interessant, weil sie im Gegenzug für höhere Renditen mehr Risiken als klassische Banken zu übernehmen bereit sind. Ein starker europäischer Kapitalmarkt kann daher das Wachstum der europäischen Wirtschaft und die Entwicklung von Innovationen fördern. Er kann zudem die Finanzstabilität erhöhen, da finanzielle Risiken dann besser zwischen dem Bankensektor und risikobereiten Kapitalmarktakteuren diversifiziert werden. Schließlich ist ein einheitlicher und tiefer europäischer Kapitalmarkt auch wichtig, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern. Denn andere Wirtschaftsräume verfügen über liquidere und tiefere Kapitalmärkte und können dadurch verstärkt Investitionen anziehen. Demgegenüber hemmen die fehlende Tiefe und Liquidität der national fragmentierten Kapitalmärkte die Attraktivität Europas für Unternehmen und Investoren, die sich in den einzelnen Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen rechtlichen Regelungen, etwa im Steuer- und Insolvenzrecht, konfrontiert sehen. Aus all diesen Gründen muss die Europäische Union (EU) entscheidende Fortschritte bei der Integration der europäischen Kapitalmärkte erreichen.
Das europäische Projekt einer Spar- und Investitionsunion
Bereits seit vielen Jahren arbeiten die Institutionen der EU unter dem Stichwort „Kapitalmarktunion“ daran, die trotz bestehender Kapitalverkehrsfreiheit immer noch fragmentierten nationalen Kapitalmärkte zu einem Binnenmarkt für Kapital zu integrieren. Dazu sind in der Vergangenheit zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, die bereits bedeutende Verbesserungen erzielt haben: Die Europäische Kommission hat 2015 und 2020 zwei Aktionspläne zur Förderung der Kapitalmarktunion mit zahlreichen Maßnahmen veröffentlicht. Viele dieser Maßnahmen sind erfolgreich umgesetzt worden. So sind beispielsweise beim grenzüberschreitenden Vertrieb von Investmentfonds wesentliche Vereinfachungen erreicht worden, und die Einführung eines sogenannten Börsentickers für EU-weit konsolidierte Handelsdaten wird für mehr Transparenz im Handel sorgen. Weitere Beispiele sind die mit dem sogenannten Listing Act eingeführten Erleichterungen für Unternehmen beim Börsengang und die Einrichtung eines EU-weiten Portals für Unternehmensdaten, um Anlegern den Zugang zu wesentlichen Informationen über europäische Unternehmen zu erleichtern.
Trotz bereits erzielter Fortschritte ist ein einheitlicher europäischer Binnenmarkt für Kapital noch unvollendet. Die nationalen Kapitalmärkte sind weiterhin stark fragmentiert. Im vergangenen Jahr haben daher die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat und die Finanzministerinnen und Finanzminister in der Eurogruppe im inklusiven Format die Notwendigkeit einer weiteren Stärkung der Kapitalmarktunion noch einmal bekräftigt und den dringenden Handlungsbedarf unterstrichen. In ihrer Erklärung aus dem März 2024 rufen die Finanzministerinnen und Finanzminister die Europäische Kommission dazu auf, die Kapitalmarktunion ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen. Auch die Berichte von Mario Draghi zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit vom September 2024 sowie von Enrico Letta zum europäischen Binnenmarkt vom April 2024 haben sich auf der Grundlage umfassender wirtschaftspolitischer Analysen für die Entwicklung einer Spar- und Investitionsunion ausgesprochen. Es besteht also in Europa Einigkeit darüber, dass dringender Bedarf für die Entwicklung eines attraktiven und effizienten Kapitalmarkts innerhalb der EU besteht.
Die Europäische Kommission hat die Entwicklung einer Spar- und Investitionsunion zu einem zentralen Schwerpunkt ihrer laufenden Mandatsperiode in den Jahren 2024 bis 2029 erklärt. Die neue Kommissarin Maria Luis Albuquerque trägt diesen Auftrag auch in ihrem Titel: Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat sie zur Kommissarin für Finanzdienstleistungen und die Spar- und Investitionsunion ernannt. Die Kommission hat am 19. März 2025 in ihrer Mitteilung zur Spar- und Investitionsunion ihre Strategie und zahlreiche Maßnahmen vorgestellt. Ziel ist es, EU-Bürgerinnen und -Bürgern einen breiteren Zugang zu Kapitalmärkten zu ermöglichen und Unternehmen bessere Finanzierungsmöglichkeiten zu bieten. Gleichzeitig will die Kommission Investitionen in die strategischen Ziele der EU fördern. Dies könne den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger steigern, das wirtschaftliche Wachstum anregen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken. Die Mitteilung zur Spar- und Investitionsunion sieht 21 legislative und nicht-legislative Maßnahmen vor, darunter Initiativen in den Bereichen Verbriefungen, Aufsicht und Stärkung der Nachfrageseite. Die Europäische Kommission setzt dabei auf eine Kombination aus europäischen Maßnahmen („top-down“) und nationalen Maßnahmen („bottom-up“). Dieser Ansatz überzeugt, denn tatsächlich liegen viele entscheidende Stellschrauben für einen liquiden und funktionierenden Kapitalmarkt bei den Mitgliedstaaten, so etwa die Förderung der Nachfrage nach Investitionsmöglichkeiten.
Die Spar- und Investitionsunion hat auch für die Bundesregierung eine hohe politische Priorität. Der Koalitionsvertrag für die laufende 21. Legislaturperiode hält fest, dass sich die Bundesregierung für die Weiterentwicklung der europäischen Spar- und Investitionsunion einsetzt, um insbesondere die Wachstumsfinanzierung in Europa zu stärken und einen einheitlichen Finanzmarkt zu schaffen. Deutschland bringt sich daher intensiv in die europäische Reformdebatte zur Stärkung der Spar- und Investitionsunion ein. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen für Start-ups und Scale-ups, insbesondere beim Übergang von Wagniskapital zu anderen Finanzierungsformen, dem Abbau überflüssiger Bürokratie und der Stärkung der Nachfrageseite am Kapitalmarkt.
Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten für Start-ups und Scale-ups
Ein zentrales Ziel der Spar- und Investitionsunion ist es, die Verfügbarkeit von Wagniskapital in der EU zu verbessern, insbesondere für junge Unternehmen, die ihr Geschäft hochskalieren wollen (sogenannte Scale-ups). Dies soll durch die Weiterentwicklung von Förderinstrumenten erreicht werden, wie beispielsweise die European Tech Champions Initiative. Die Europäische Kommission hat im Mai 2025 eine „EU-Start-up-und-Scale-up-Strategie“ mit zahlreichen Maßnahmen vorgestellt. Auch Frankreich und Deutschland bringen sich mit politischen Impulsen in die Debatte ein. So haben beide Länder eine hochrangige Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen französischen Zentralbankgouverneurs Christian Noyer und des ehemaligen Bundesministers der Finanzen Jörg Kukies eingesetzt (s. u.).
Stärkung der Nachfrageseite
Da die Nachfrage nach Investitionsmöglichkeiten ein wesentlicher Faktor für die Tiefe und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts ist, setzt sich Deutschland auf europäischer und auf nationaler Ebene für entsprechende Maßnahmen ein. Dazu zählt die Initiative des Investmentlabels „Finance Europe“, das Anlegerinnen und Anlegern, die gezielt in die europäische Wirtschaft investieren möchten, Orientierung bieten soll. Das Label setzt einen freiwilligen Rahmen, den die Finanzindustrie durch geeignete Investmentlösungen ausfüllen soll. Im Juni 2025 haben Frankreich, Spanien, Luxemburg, Estland, Polen, die Niederlande und Deutschland eine Absichtserklärung zu dieser Initiative unterzeichnet. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zur Stärkung der kapitalgedeckten Altersvorsorge umzusetzen, wie die Einführung der Frühstart-Rente oder die Reform der Riester-Rente.
Vereinfachungen voranbringen
Nach der Finanzkrise ist der Rechtsrahmen für Finanzmarktakteure deutlich strenger geworden, um die Finanzstabilität zu gewährleisten. Zugleich ist die Komplexität der Regeln deutlich gestiegen und inzwischen auch für Expertinnen und Experten nur noch schwer zu überblicken. Daher ist es ein wichtiges politisches Ziel im Rahmen der Spar- und Investitionsunion, den Rechtsrahmen für die Finanzmärkte zu vereinfachen, ohne Standards für Verbraucherschutz und Finanzstabilität abzusenken.
Vereinfachung heißt, die bestehenden Regeln wirksamer und klarer zu gestalten und stärker am Proportionalitätsprinzip auszurichten. Insbesondere Überschneidungen, Unklarheiten und Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Rechtsakten sollen beseitigt werden. Bei der Vereinfachung des Rechtsrahmens ist es wichtig, sämtliche Ebenen der Regulierung in den Blick zu nehmen – von der EU-Gesetzgebung (Level 1) über die technischen Standards der Europäischen Kommission (Level 2) bis hin zu den Leitlinien der Europäischen Aufsichtsbehörden (Level 3). Dabei soll das Augenmerk nicht nur auf die bestehenden, sondern auch auf künftige Regulierungsvorhaben gerichtet sein. Die dänische Präsidentschaft hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, dass neue Rechtsakte noch gründlicher darauf geprüft werden sollen, dass sie keine übermäßige Komplexität beinhalten.
Wichtig bei alldem ist: Die bewährten Standards des Verbraucher- und Anlegerschutzes sollen stets gewahrt werden. Deregulierung – also eine Absenkung von Standards – soll es hingegen nicht geben. Vielmehr soll die Effektivität der Regulierung weiter verbessert werden, um Finanzstabilität, Verbraucherschutz und den Kampf gegen Geldwäsche weiter zu stärken.
Rolle der Banken bei der Spar- und Investitionsunion
Auch bei einer Stärkung des europäischen Kapitalmarkts werden Banken künftig eine zentrale Rolle zur Finanzierung der Wirtschaft spielen. Sie vermitteln zwischen Sparerinnen und Sparern und Unternehmen und sind wichtig für die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen. Darüber hinaus tragen Banken auch selbst wesentlich zur Entwicklung der Kapitalmärkte bei – etwa durch die Betreuung institutioneller sowie privater Anleger. Daher stellen Banken ein wichtiges Standbein innerhalb der Spar- und Investitionsunion dar. Die Europäische Kommission plant für das Jahr 2026 einen Bericht, in dem sie die Lage des Bankensektors im Binnenmarkt analysieren und dessen Wettbewerbsfähigkeit bewerten wird.
Deutsch-französische Zusammenarbeit vertiefen
Auch bei der Spar- und Investitionsunion möchte Deutschland seine enge Zusammenarbeit mit Frankreich weiter vertiefen. Als die beiden größten Volkswirtschaften der EU und Standorte großer europäischer Banken und Kapitalmarktakteure sind Deutschland und Frankreich wichtige Impulsgeber.
Bereits im September 2023 präsentierten der damalige Bundesfinanzminister Christian Lindner und der französische Minister für Wirtschaft und Finanzen Bruno Le Maire eine gemeinsame Roadmap für die Kapitalmarktunion. Auch beim Deutsch-Französischen Ministerrat Ende August 2025 stand die Spar- und Investitionsunion erneut im Mittelpunkt. Anlässlich dieses Treffens verabschiedeten Deutschland und Frankreich eine gemeinsame deutsch-französische Wirtschaftsagenda, die inhaltliche Impulse für die Integration der europäischen Kapitalmärkte setzt.
Als Beispiel für die Zusammenarbeit beider Länder auf dem Gebiet der Spar- und Investitionsunion ist die Initiative „Financing Innovative Ventures in Europe“ hervorzuheben. Diese haben Bundesfinanzminister Lars Klingbeil und sein französischer Amtskollege Eric Lombard im Juli dieses Jahres gemeinsam auf den Weg gebracht, um sicherzustellen, dass Start-ups und Scale-ups in der EU die Finanzierung bekommen, die sie für Wachstum und Innovationen brauchen. Der französische und der deutsche Finanzminister haben bei ihrem Treffen am 16. Juli 2025 in Genshagen eine Taskforce unter Leitung des ehemaligen deutschen Finanzministers Jörg Kukies und des ehemaligen Gouverneurs der Banque de France Christian Noyer eingerichtet. Diese Arbeitsgruppe wird bis Ende 2025 Empfehlungen zur Verbesserung der Scale-up-Finanzierung entwickeln. Der Schwerpunkt der Taskforce liegt insbesondere auf der Verbesserung des Zugangs von Unternehmen in ganz Europa mit hohem Wachstumspotenzial zu Kapital, besonders in späteren Entwicklungsphasen. Themenbereiche umfassen die Vereinfachung von Börsengängen, die Schaffung von Plattformen für den Handel mit nicht börsennotierten Unternehmensanteilen und die Verbesserung des Zugangs privater Anlegerinnen und Anlegern zu Wagniskapitalfonds.
Ausblick
All diese Maßnahmen verfolgen das Ziel, Investitionen in Europa attraktiver zu machen und private Investitionen anzuziehen. Eine gut funktionierende Spar- und Investitionsunion wird private Ersparnisse in Europa halten und Investitionen in den Kontinent für EU-Bürgerinnen und Bürger und ausländische Investoren attraktiver machen. Dies wird die Wachstumskräfte, die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit in der EU stärken.