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08.05.2024

Makroökonomisches Ungleichgewichteverfahren

Das makroökonomische Ungleichgewichteverfahren ist ein wirtschaftspolitisches Überwachungsverfahren, mit dem makroökonomische Ungleichgewichte innerhalb der Europäischen Union (EU) identifiziert und korrigiert werden sollen.

Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wurde deutlich, dass das bisherige EU-Regelwerk zur finanz- und wirtschaftspolitischen Überwachung unzureichend war. Zum einen waren die Vorgaben im Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht hinreichend, um in allen Mitgliedstaaten eine stabilitätsorientierte Ausrichtung der Finanzpolitik sicherzustellen. Zum anderen existierte kein vergleichbares Verfahren zur Überwachung der Wirtschaftspolitiken in den Mitgliedstaaten, so dass in einigen Ländern erhebliche gesamtwirtschaftliche Spannungen und Ungleichgewichte entstehen konnten, die die makroökonomische Stabilität der Eurozone und der EU insgesamt gefährdeten. Vor diesem Hintergrund wurde das makroökonomische Ungleichgewichteverfahren im Jahr 2011 eingeführt.

Ziel des Verfahrens

Vor diesem Hintergrund zielt das makroökonomische Ungleichgewichteverfahren darauf ab, Mitgliedstaaten zu identifizieren, die durch bestehende oder drohende makroökonomische Ungleichgewichte die Stabilität der eigenen Wirtschaft, der Eurozone und der EU als Ganzes gefährden oder gefährden könnten. Gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte können etwa aus einer überhitzten Binnenkonjunktur, wachsenden gesamtwirtschaftlichen Kreditvolumina und steigenden Häuserpreisen resultieren. Das Augenmerk des Verfahrens liegt insbesondere auf Mitgliedstaaten mit ungelösten strukturellen Problemen und Schwächen in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Das makroökonomische Ungleichgewichteverfahren ist in das Europäische Semester eingebettet, das den Rahmen für die finanz- und wirtschaftspolitische Koordinierung und Überwachung bildet.

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Frühwarnsystem, Scoreboard und vertiefte Analyse

Ein Frühwarnmechanismus soll helfen, makroökonomische Risiken in den EU-Mitgliedstaaten in einem frühen Stadium zu erkennen. Auf Basis eines sogenannten Scoreboards bewertet die Europäische Kommission, ob ein Mitgliedsstaat möglicherweise von Ungleichgewichten betroffen oder bedroht sein könnte. Das Scoreboard beinhaltet vierzehn verschiedene Leitindikatoren aus den Bereichen Außenwirtschaft, Binnenwirtschaft und Beschäftigung, die jeweils mit Schwellenwerten versehen sind, welche sich zum Teil für Euro- und Nicht-Euro-Mitgliedsstaaten unterscheiden. Ein Über- beziehungsweise Unterschreiten eines Schwellenwertes gibt einen ersten Hinweis auf potentielle Ungleichgewichte im entsprechenden Land.

Wenn eine erste wirtschaftliche Bewertung dies bestätigt, wird der entsprechende Mitgliedsstaat einer eingehenden Analyse unterzogen. Hierbei werden insbesondere der Schweregrad bestehender beziehungsweise drohender Ungleichgewichte und die Gefahr möglicher negativer Übertragungswirkungen auf das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion betrachtet. Ergibt die Analyse, dass tatsächlich ein schädliches Ungleichgewicht besteht beziehungsweise unmittelbar droht, so erhält der besagte Mitgliedstaat eine Empfehlung, dieser Entwicklung entgegen zu wirken (sogenannter präventiver Arm des Verfahrens). Ergibt die vertiefte Analyse, dass in einem Mitgliedstaat bereits besonders schwere Ungleichgewichte mit negativen Auswirkungen auf andere Länder und die EU als Ganzes bestehen, so wird der Mitgliedstaat verpflichtet, diese durch geeignete Abhilfemaßnahmen zu korrigieren. Der Mitgliedstaat befindet sich dann im korrektiven Arm des Verfahrens – vergleichbar dem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit in der haushaltspolitischen Überwachung. Mitgliedstaaten der Eurozone drohen in letzter Konsequenz (z. B. wenn wiederholt keine angemessenen Gegenmaßnahmen ergriffen wurden) finanzielle Sanktionen. Zu solchen ist es jedoch seit Einführung des Verfahrens bislang nicht gekommen.